Der Weihnachtszauber – Eine Geschichte zum Vorlesen

Viermal werden wir noch wach … Überall wuseln eifrige Engel herum und arbeiten mit angehaltenem Atem und roten Wangen lange To-Do-Listen ab. Höchste Zeit, sich mal die Kinder zu schnappen oder den Mann oder wen auch immer, Kerzen anzuzünden und eine Weihnachtsgeschichte vorzulesen. Ich hätte da eine für euch, die ich für meine Yogis geschrieben und mitgegeben habe. (Die Geschichte kann beim Vorlesen übrigens gekürzt werden – je nach Alter und Geduld der Zuhörer. Einfach ein paar Sätze weglassen.)

Der Weihnachtszauber 

von Maike Schößler

Wenn du ganz fein deine Ohren spitzt, dann hörst du vielleicht ein sanftes Summen in der Luft. So ein Summen wie von Hummeln, die im Sommer zu nahe an deinem Ohr vorbei brummen. 

Dieses Summen kommt von zwei Engeln, die hoch oben am Himmel in der Wolkenküche neben einem gigantischen Backofen sitzen und darauf warten, dass die Plätzchen fertig werden. Sie teilen sich sich eine Wolke und unterhalten sich. Der eine ist schon etwas älter. Den nennen sie Engel Wolkenplatt, weil er es sich immer so lange auf einer Wolke gemütlich macht, bis sie an dieser Stelle ganz eingedellt ist. Sein Popo ist mindestens genauso platt wie diese Wolke. Der kleinere von beiden heißt Engel Naseweis, weil er so unendlich viele Fragen stellt, die niemals nie enden wollen. So wie heute: „Du sag mal, warum rennen die Menschen da unten eigentlich so schnell durch die Gegend? Und warum guckt niemals einer hoch zu uns? Wir haben doch sooo wunderschöne weiche Wolken.“ Der kleine Engel beugt sich neugierig über die Wolkenkante. Dort ist es gerade kurz vor 8 Uhr am Morgen und er sieht viele Autos auf den Straßen und Eltern auf den Gehwegen mit Kindern an den Händen, die sich mit ihren schweren Ranzen abmühen.

„Weißt, du Naseweis“, antwortete Wolkenplatt. „So ist das mit den großen Menschen. Sie haben nie Zeit. Keiner hat Zeit einfach mal in den Himmel zu gucken.“ „Was ist mit denn mit den Kindern“, möchte Naseweis wissen.  „Hmmm“, brummt Wolkenplatt, kratzt sich am Kinn und holt tief Luft: „Sie hätten ja, wenn sie dürften, aber sie dürfen nicht, weil sie müssen.“

Naseweis kriegt große Augen: „Müssen, dürfen, hätten. Also ich möchte ja nur möchten“, sagt der kleine Engel und flattert trotzig mit den Flügeln. „Und dürfen ist auch toll“, sagt er noch schnell.

„Absolut“, pflichtet Wolkenplatt ihm bei und wirft einen Blick in den Backofen. „Eigentlich müssen die großen Menschen auch nicht, sie denken nur, dass sie müssen, weil sie sich den Stress auch gerne selber machen. Besonders in der Vorweihnachtszeit ufert das Ganze noch mehr aus. Weihnachtsfeiern, Geschenke kaufen, Jahresabschlussgespräche, Karten schreiben, Plätzchen backen, Basteltage…“ Wolkenplatt wird immer atemloser vor lauter Wörter und Naseweis macht das, was er am besten kann. Er fragt: „Ja, aber das sind doch wunderbare Weihnachtsdinge, die unheimlich Spaß machen. Was stresst denn die Menschen so?“  

„Das ist eine gute Frage“, entgegnet der ältere Engel. 

„Die Erwachsenen haben verlernt, den Weihnachtszauber zu spüren, den die Weihnachtszeit bereit hält. Würden sie einfach mal inne halten und so richtig tief durchatmen, dann würden sie den Weihnachtszauber, auch wieder fühlen.“ 

„Au ja, der Weihnachtszauber!“ Engel Naseweis kuschelt sich verträumt in einen Flügel und seufzt „Der ist das größte. Das ist ein Gefühl, das unter die Haut kriecht und sich ganz warm im Bauch festsetzt. 

Wenn du zum ersten Mal die unzähligen Lichter siehst, die jetzt die Straßen, Geschäfte und Häuser schmücken. Dann strahlen die Lampen mit den Augen der Kinder um die Wette. Rote Wangen glühen wie rosa Wolken am Winterhimmel. Die Luft knistert vor Vorfreude. Herzchen buppern im Takt zu Glöckchen im Wind. Der Zauber, der von den dicken roten Kerzen auf dem Adventskranz ausgeht, wenn man ihn nur anschaut. Eine Kerze, zwei, drei… nicht mehr lange! 

Wenn du jeden Morgen mit Schlaf in den Augen und nackten Füßen zum Adventskalender eilst, vor Aufregung die Luft anhältst. Wenn du draußen bist, und über der Winterwelt puderzuckriger Frost Lust auf Schnee macht. Wenn die Luft erfüllt ist von Plätzchenduft und von Liedern, die an vergangene Weihnachten erinnern. Wenn du mit lieben Menschen zusammen kommst, ihnen ein Lächeln schenkst oder sogar ein Präsent.“ 

„Genau das ist es“, sagt Engel Wolkenplatt ganz verträumt. „Eigentlich würde es schon reichen, wenn die Großen ihre Kinder mal ansehen würden und zwar so richtig. Mit dem Herzen und einem warmen Blick. Dann springt der Weihnachtszauber von ganz alleine über von den Kleinen auf die Großen.“  

Der alte Engel erhebt sich von seiner Wolke, auf der eine platte Kuhle zurück bleibt. Er flattert zum Ofen und nimmt ein gewaltiges Blech mit Plätzchen heraus, stellt es auf einer Wolke ab und schließt die Ofentür. 

„Sieh mal, Wolkenplatt“, ruft Engel Naseweis. Und wirklich! An der Stelle, wo das Blech die Wolke berührt, färbt sich die weiße Watte rosarot und breitet sich immer weiter über den ganzen Himmel aus. „Schau mal nach unten“, sagt der alte Engel. Engel Naseweis blicken über den Wolkenrand und sieht wie die hektischen Menschen stehen geblieben sind. Mit staunenden Augen und geöffneten Mündern schauen sie zum Himmel hoch. 

„Wie schön das aussieht!“, hören die Engel von unten.

„Die Engel backen Plätzchen“, freuen sich die Erdenkinder. 

„Papperlapapp“, sagt ein Vater. „Das, das nennt man Weihnachtszauber!“

Er lächelt, umarmt seinen kleinen Sohn und nimmt ihm den schweren Ranzen ab. 

Und auf der Wolke mit dem platten Poabdruck zwinkern sich zwei Engel glücklich zu.  

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